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Afrikanische Diaspora, Gerechtigkeit und politische Verantwortung: Ein Gespräch mit Dr. Boniface Mabanza Bambu

Afrika spielt wieder eine große Rolle als Rohstofflieferant der Welt.Was afrikanische Länder brauchen, ist Fairness. Und Fairness kann nur durch eine Verlagerung der Wertschöpfungsketten geschehen, dorthin, wo die natürlichen Ressourcen zu finden sind.
Dr. Boniface Mabanza Bambu
Etheldreda D. Nanfa: Herr Dr. Boniface Mabanza, wir freuen uns, Sie bei uns heute hier begrüßen zu dürfen. Es ist für uns eine Ehre, dass Sie uns für Fragen zur Verfügung stehen. Hier zunächst einige Informationen zu Ihrer Person:
Sie sind ein gefragter Referent, Sie sind Autor, Sie sind Aktivist und Sie sind bekannt für Ihre langfristige Arbeit für soziale Gerechtigkeit, in der Entwicklungspolitik, zu den Einflüssen auf die Globalisierung in Afrika. Sie sind gleichzeitig ein aktives Mitglied von vielen afrikanischen Diaspora-Netzwerken in Europa. Ich würde sogar sagen, dass Ihre Kompetenz und Expertise in hohem Maße die Aktivitäten mitbestimmen. Da Sie verschiedene Betätigungsfelder haben, – und ich versuche, den Blick auf nur einige zu lenken -, wäre es interessant, wenn Sie sich unserem Publikum auch selbst vorstellen könnten, sicher der beste Weg für eine Vorstellung. Sie haben das Wort, Dr. Boniface Mabanza.
Dr. Boniface Mabanza Bambu: Ich denke, was die Vorstellung meiner Person angeht, habe ich nicht viel hinzuzufügen. Ich glaube, in einem Kontext wie diesem von der Black Academy ist es vielleicht das wichtigste Interesse und Anliegen von uns afrikanischen, aber außerhalb des Kontinents lebenden Intellektuellen, Wege zu finden, die durch unsere Arbeit sowohl in Europa als auch in Afrika entwickelten Ideen auch in Debatten auf dem afrikanischen Kontinent hinein zu tragen, so dass sie Einfluss nehmen und auch junge Menschen erreichen können, die dabei sind, in den verschiedenen Ländern Afrikas ihren Ideen Gehör zu verschaffen. Das ist es, was mich immer motiviert hat, mich aber zugleich auch unzufrieden gemacht hat, weil eigentlich die Perspektiven, die ich persönlich entwickle, interessanter aus einer afrikanischen Perspektive sind und ich mich frage: Habe ich überhaupt die Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die in Afrika leben?
Das ist eine Frage, die mich umtreibt. Und das ist das Einzige, was ich hinzufügen kann. Es ist mir angenehmer, wenn andere über mich sprechen, als wenn ich selbst es tue.
Etheldreda D. Nanfa: Vielen Dank für die Einführung. Lassen Sie uns in die Fragen einsteigen. Angesichts Ihrer Expertise: Wie denken Sie, hat die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung Gerechtigkeit und Beschäftigungsmöglichkeiten vorangebracht? Und welche möglichen Änderungen würden Sie empfehlen, um sicherzustellen, dass die Dekade einen noch größeren Einfluss hat?
Dr. Boniface Mabanza Bambu: Rückblickend würde ich sagen, eine Dekade ist nicht lang genug, um Ungerechtigkeiten, die die Menschen afrikanischer Abstammung seit fast 500 Jahren erleiden, wieder gut zu machen. Aber damit will ich auch nicht sagen, dass wir 500 Jahre brauchen, um die Ungerechtigkeiten zu korrigieren. Aber diese Dekade für Menschen mit afrikanischer Abstammung hat gezeigt, dass das Ausrufen einer Dekade allein nicht ausreicht.
Notwendig ist es, eine Dekade so vorzubereiten, dass von Anfang an institutionelle Mechanismen etabliert werden können, die ermöglichen, dass im Hinblick auf Bildung, Arbeit, politische Partizipation, bezogen auf alle Bereiche, in denen Menschen afrikanischer Abstammung, wo immer sie in der Welt leben, Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen erleben, diese Menschen neue Chancen bekommen. Die aktuelle Dekade war nicht so vorbereitet, dass die institutionelle Verankerung der Mechanismen von Anfang an stattgefunden hat. Sie wurde ausgerufen und den nationalen Regierungen wurde es überlassen, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um diese Dekade effektiv zu gestalten.
Die meisten Regierungen haben diese Maßnahmen viel zu spät ergriffen. Im Fall von Deutschland zum Beispiel, – das ist nur zwei, drei Jahre her -, wurde so etwas wie eine personelle Begleitung der Dekade möglich gemacht. Das ist viel zu wenig und viel zu kurz.
Deswegen würde ich sagen, ja, diese Dekade hat gezeigt, dass die Ausrufung allein nicht reicht, dafür sind die Ungerechtigkeiten zu tief verankert in den Strukturen. Was wir im Blick auf die Zukunft brauchen, ist eine gute Vorbereitung von so einer Dekade, sodass institutionell von Anfang an deutlich wird, an welchen Hebeln gedreht werden muss, damit Fortschritte gemacht werden können. Ich habe nicht den Eindruck, dass die jetzt zu Ende gehende Dekade einen Unterschied gemacht hat, weil die Identifizierung dieser Hebel nicht von Anfang an geschah.
Etheldreda D. Nanfa: Danke, Dr. Mabanza. Lassen Sie uns über das deutsche Lieferkettengesetz sprechen. Wie beurteilen Sie dessen Umsetzung und Wirksamkeit?
Dr. Boniface Mabanza Bambu: Ich glaube, das deutsche Lieferkettengesetz ist noch zu jung in der Implementierung, in der Umsetzung, um dessen Wirksamkeit beurteilen zu können. Wir brauchen ein wenig Zeit, damit wir testen können, wie zum Beispiel Beschwerden, die vor der zuständigen Behörde BAFA ausgehandelt werden, beschieden werden, um beurteilen zu können, was dieses Lieferkettengesetz tatsächlich taugt. Aber von der Grundausrichtung her können wir jetzt schon festhalten, dass das deutsche Lieferkettengesetz ein Produkt ist aus der Notwendigkeit zu regulieren und dem Mangel an politischem Willen, das gut zu tun.
Das ist etwas, was zustande kommt, wenn die Politik die Notwendigkeit sieht zu regulieren, aber das aus bestimmten Gründen nicht richtig tut oder tun will. Was dann entsteht, ist ein Produkt, das von den Unternehmen diskreditiert wird, dessen bürokratische Hürden sie beklagen und das bei den Regierungsorganisationen als zu unzureichend gilt, um Menschenrechte und Umweltrechte tatsächlich zu schützen. Letztendlich ein Produkt, das niemandem wirklich nützt.
Schon von der Ausrichtung her ist es nicht gut; im Laufe des Prozesses wurde dieses Gesetz zu sehr verwässert. Vom ersten Entwurf bis zu dem, was verabschiedet wurde, ist schon eine große Kluft festzustellen.
Diese Kluft bedeutet eine Aushöhlung des Gesetzes im Sinne des Schutzes der Interessen von Unternehmen. Das gesagt zu haben, ist mir wichtig und zu betonen, dass ich nicht naiv bin. Ich gehe davon aus, dass Deutschland und die anderen EU-Länder keine Gesetze verabschieden würden, die am Ende dazu führen, dass sie nicht mehr mit den notwendigen Produkten, natürlichen Ressourcen, aber auch Zwischenprodukten versorgt werden, die sie brauchen für ihre Industrie, für ihre Wertschöpfungsketten.
Das wäre sehr naiv, das zu erwarten, bedeutet aber, dass am Ende der Schutz von Menschen- und Umweltrechten von der jeweiligen afrikanischen Regierung gewährleistet werden muss. Es sind die afrikanischen Länder, die Gesetze verabschieden müssen, die so gut sind und die auch institutionell so gefestigt und unanfechtbar sind, mit guten Institutionen, rechtsstaatlichem Justizsystem, Kontrollbehörden, Inspektionen und so weiter, so dass sie für alle funktionieren, für Unternehmen aus China, aus den USA, aus der EU. Nur so können wir vermeiden, dass von Europa aus Inseln geschaffen werden in Afrika, die nur für die Europäische Union funktionieren; Gesetze, die auch dafür sorgen, dass so etwas wie eine gewisse Beruhigung in der EU entstehen kann, indem die schwersten Verletzungen von Menschen- und Umweltrechten reduziert werden.
Aber am Ende geht es ihnen darum, sozusagen die Versorgungssicherheit der EU und Deutschlands zu gewährleisten. Nur afrikanische Länder können das verhindern, und zwar durch Gesetze, die sie selbst verabschieden und auch selbst überwachen. Am Ende des Tages wäre ich aus der hiesigen Perspektive auch nicht zufrieden, wenn Deutschland und die EU Gesetze verabschieden würden, die am Ende dazu führen, dass die schwersten Menschenrechtsverletzungen tatsächlich vermieden werden oder überwunden werden können, auch die Umwelt geschützt und eine gewisse Klimafreundlichkeit in wirtschaftlichen Aktivitäten gewährleistet wird; wenn dabei aber die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, dass am Ende afrikanische Länder Rohstofflieferanten sind für die in Deutschland und in der EU stattfindende Produktion. Was afrikanische Länder brauchen, ist Fairness. Und Fairness kann nur durch eine Verlagerung der Wertschöpfungsketten geschehen, dorthin, wo die natürlichen Ressourcen zu finden sind.
Und so etwas ist von einem Lieferkettengesetz von Deutschland, von der EU aus nicht zu erwarten. Deswegen ist es eine Befreiungsaufgabe und die obliegt afrikanischen Ländern, afrikanischen Regierungen und Gesellschaften. Und schließlich -, ich sehe bei allem guten Willen nicht, dass die EU und Deutschland, die sich sowieso im Wettbewerb mit China, mit den USA um Zugang zu Ressourcen und zu vielen Produkten für ihre Industrie sehen, den Schritt machen, ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden.
Aus diesem Grund möchte ich nicht so sehr darüber spekulieren, welche Maßnahmen möglich wären, um das deutsche Lieferkettengesetz zum Beispiel zu verbessern. Es gibt sicherlich im Blick auf die Größe des Unternehmens und zivilgesellschaftliche Haftung und im Blick auf viele Aspekte einiges, was gemacht werden kann, um es zu verbessern. Und das ist auch die Aufgabe, die einige NGOs übernehmen werden, indem sie in den nächsten Jahren die Schwächen dieses Gesetzes dokumentieren, um eine Verbesserung anzustreben.
Aber das ist nicht mein Ansatz. Mein persönlicher Ansatz ist, realistisch davon auszugehen, dass die EU sich im Wettbewerb mit China, den USA, Japan, Australien und Kanada sieht und dass es in diesem Kontext des Wettbewerbs zwischen den großen Ökonomien darauf ankommt, dass die afrikanischen Länder ihre Interessen gut identifizieren und ihre Kräfte bündeln, um sie besser zu verteidigen. Und das wird nicht durch Gesetze geschehen, die von anderen formuliert und überwacht werden.
Das wird durch Rahmenbedingungen geschehen, die die afrikanischen Länder, ihre regionalen Zusammenschlüsse und die afrikanische Union definieren, umsetzen, überwachen.
Etheldreda D. Nanfa: Danke, Dr. Bonifaz. Die EU hat zuletzt eine Entscheidung über die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems getroffen, die der deutsche Kanzler Olaf Scholz “historisch” genannt hat. Wie beurteilen Sie diese Reform, insbesondere in diesen Zeiten, wie das Migrationsmanagement und die Sicherung der Solidarität in den EU-Staaten gefestigt werden sollen?
Dr. Boniface Mabanza Bambu : Diese Wortwahl, die Reform als “historisch” zu bezeichnen, ist schon interessant. Jedes Mal, wenn wir über Flucht, Migration und Asyl in Europa, im EU-Raum sprechen, ist es wichtig daran zu erinnern, dass die Narrative, die die EU prägt, aber auch die Gesetzesinitiativen, die hier angestrebt, die diskutiert werden, die die Öffentlichkeit mobilisieren, immer den Eindruck erwecken, die EU sei im Zentrum, was das Flucht- und Migrationsgeschehen angeht. Das stimmt gar nicht.
Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun, wenn wir zum Beispiel zur Kenntnis nehmen, dass heute in einem afrikanischen Land wie der Demokratischen Republik Kongo allein 9,5 Millionen Binnenvertriebene leben. Verglichen mit der Anzahl der Menschen, die an den europäischen Außengrenzen ankommen und dort Asyl beantragen, ist es wirklich wichtig zu sagen, wir müssen die Kirche im Dorf lassen.
Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wovon wir sprechen, nämlich von Menschen, zum Beispiel aus Afrika, die außerhalb der Länder leben, in denen sie geboren wurden. Dabei leben die meisten immer noch in ihren eigenen Regionen. Flucht und Migration bleiben ein regionales Phänomen.
Von denen, die auf die Idee kommen, auszuwandern, versuchen nur die wenigsten, das in die Tat umzusetzen. Und von denen, die an die EU denken, schaffen es tatsächlich auch nur die wenigsten, die europäischen Außengrenzen zu erreichen. Soweit erst einmal zu den Verhältnissen.
Was in der EU geschieht, ist nichts anderes als eine faktische Abschaffung des EU-Asylrechts. Das EU-Asylrecht wird ausgehöhlt, indem eine Aus- und Vorlagerung der Verfahren an den EU-Außengrenzen stattfindet. Die Möglichkeiten, die es jetzt gibt, zum Beispiel was Berufungsverfahren betrifft, werden einfach ausgehöhlt.
Und was da passiert, hat mit Humanismus nichts zu tun, wie Olaf Scholz das sagt. Das zeigt eher, dass die EU-Asylpolitik und die Migrationspolitik von Angst getrieben werden. Das ist die Angst vor dem Aufstieg der Rechten in Europa.
Das ist purer Aktionismus. Und dieser Aktionismus hat die Konsequenz, sozusagen ein Bild von Europa, von der EU zu erzeugen, mit dem signalisiert wird: Genau wie wir in der Geschichte während der Zeit der Sklaventransporte von Menschen aus Afrika die Stärksten gewählt haben, die wir brauchten für die Plantagenarbeit, brauchen wir heute nur diejenigen, die wir für unsere Produktions- und Sozialsysteme benötigen, Ingenieure und Ingenieurinnen, IT-Leute, ÄrztInnen. Alle anderen brauchen wir nicht.
Sie sollen außen vor bleiben. Aber die Menschlichkeit einer Gesellschaft lässt sich nicht daran messen, wie sie mit denjenigen umgeht, die sie braucht, die stark sind, sondern daran, wie sie mit denen umgeht, die schwach sind. Und schwach sind diejenigen, die aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in ihren Ländern, aufgrund von Konflikten, aufgrund von Kriegen, aufgrund von ökonomischer Perspektivlosigkeit, – die zum Teil auch mit der europäischen Politik, der europäischen Handels-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik zusammenhängt, mit der europäischen Handelspolitik, mit der europäischen Wirtschaftspolitik, mit dem Waffenhandel, mit dem Klimawandel, zu dem auch die EU beiträgt, – Menschen, die sich auf den Weg machen, weil sie Perspektiven verlieren, ihnen Chancen genommen worden sind, und die hoffen, vielleicht auch Perspektiven hier aufzubauen. Das ist alles andere als humanistisch oder human.
Das ist eher eine Erosion der Werte, das hat eher mit einem Europa, mit einer EU zu tun, die sich nur noch an Interessen orientiert und dabei immer wieder von Werten redet. Ich habe schon in meiner letzten Intervention erwähnt, dass diese Verschärfung des Asylrechts alles andere als human und humanistisch ist. Es handelt sich um eine Erosion von Werten im Zuge des Aufstiegs der rechten Kräfte in Europa.
Das wird eher dazu führen, dass die Menschen, die in Not geraten und Perspektiven verlieren, noch gefährlichere Routen wählen und es wird auch die Macht derer zementieren, mit denen die EU kooperiert, um grundsätzlich zu verhindern, dass eine Vielzahl von Menschen die europäischen Außengrenzen erreichen. Es sind kriminelle Netzwerke, die von Tunesien, von Marokko, von Libyen aus operieren und die sich die Freiheit nehmen, Menschen aus Afrika aufzufangen, sie wieder in die Wüste zu schicken. Aber ich komme nochmal zurück auf das, was ich gesagt habe. Wir sollten uns immer die Verhältnisse vor Augen führen. Statistiken von 2024 zeigen, dass die meisten Menschen, die als Geflüchtete in europäischen Ländern leben, nicht aus Afrika, nicht aus afrikanischen Ländern kommen, sie kommen aus anderen Teilen der Welt. Und würde man die Herkunftsländer der aus Afrika Geflüchteten separat betrachten, würde man feststellen, dass möglicherweise das erste afrikanische Land mit der größten Zahl der Menschen, die als AsylbewerberInnen in der EU zu finden sind, vielleicht an fünfter oder an sechster oder vielleicht auch an zehnter Position in der Statistik erscheint.
Wenn wir uns außerdem vor Augen führen, dass Menschen, die zum Beispiel vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind, einen anderen Status in europäischen Ländern haben,- und damit will ich nicht sagen, dass der Schutz, den sie genießen, schlecht wäre, nein, das ist absolut richtig, er kann sogar besser sein -, dann ist dieser peinliche Aktionismus gegenüber denjenigen, die aus Afrika in die EU kommen, nicht zu rechtfertigen. Zumal der einzige Weg, dem entgegenzuwirken, eigentlich darin bestehen würde, im Bereich der legalen Migration Wege zu öffnen. Aber da geschieht so gut wie nichts.
Selbst Ministerien, die davon schwadronieren, Partnerschaften, Austauschmöglichkeiten zwischen zum Beispiel Deutschland und afrikanischen Ländern zu verstärken, sehen, dass sogar Programme, die sie selbst finanzieren und die von zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen werden, meistens daran scheitern, dass junge Menschen aus afrikanischen Ländern gar kein Visum bekommen. Die Visabestimmungen führen dazu, dass fast alle afrikanischen Länder unter Generalverdacht stehen. Und es ist dieser Generalverdacht, der Menschen in die Illegalität, auf illegale Wege treibt. Hier kann etwas getan werden. Aber auch bei der Bekämpfung der tatsächlichen Fluchtursachen, im Handel, bezüglich der Finanzströme, dem Klimawandel, ist einiges zu tun. Und nicht solche Maßnahmen wie die Vor- und Auslagerung der Asylverfahren an die EU-Außengrenzen. Ich halte nichts davon.
Etheldreda D. Nanfa: Danke, Dr. Boniface Mabanza.
Dr. Boniface Mabanza Bambu: Und vielleicht noch ein Aspekt. Wenn Sie in diesem Zusammenhang von Solidarität sprechen hören, hat das nichts mit Solidarität mit den Geflüchteten zu tun. Die Geflüchteten und die Flüchtlinge erfahren keine Solidarität.
Sie werden bekämpft. Solidarität besteht zwischen den EU-Ländern, dass die Asylsuchenden besser verteilt werden, damit die Länder an den EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland nicht alleine die Last tragen; andere sollen sich daran beteiligen. Das ist das, was sie unter Solidarität verstehen.
Das ist nach innen gerichtet, nicht nach außen.
Etheldreda D. Nanfa: : Danke Unsere nächste Frage betrifft die afrikanische Diaspora in Europa. Wir sprechen von großen momentanen Krisen in Afrika. In vielen afrikanischen Ländern sind Diskussionen um die Dekolonialisierung lauter geworden. Wie sehen Sie diese Entwicklungen, die die afrikanische Diaspora in Europa und besonders in Deutschland beeinflussen?
Dr. Boniface Mabanza Bambu : Ich würde sagen, wir haben Diaspora und Diaspora und vielleicht nochmal Diaspora. Nicht alle, die in der Diaspora leben, sind an politischen Entwicklungen in afrikanischen Ländern und Gesellschaften interessiert. Und nicht alle, die interessiert sind, haben auch die Kapazitäten, sich in Bündnisse, Plattformen einzubringen, wo darüber nachgedacht wird, wie die afrikanische Diaspora, die in Deutschland, in der EU lebt, tatsächlich zu einer Akteurin des politischen Wandels in Afrika werden kann.
Aber die Erwartung von Seiten Afrikas, der afrikanischen Länder, ist da. Die Afrikanische Union hat nicht umsonst die afrikanische Diaspora zur sechsten afrikanischen Region erklärt. Die Erwartungshaltung leitet sich daraus ab, dass die einzelnen Länder und die Afrikanische Union gesehen haben, dass die Rücküberweisungen der Menschen afrikanischer Abstammung, die überall in der Welt verstreut sind, längst bedeutsamer sind als die offizielle Entwicklungshilfe.
Die Diaspora leistet also für viele Länder Afrikas finanziell mehr als die Entwicklungshilfe. Und von der Diaspora kommt auch in vielen Ländern mehr Kapital als durch ausländische Direktinvestitionen. Die Idee der Afrikanischen Union war es, die Diaspora zu organisieren und dieses Kapital besser zu kanalisieren.
Die Idee an sich ist nicht schlecht, aber für viele Regierungen geht es darum, an das Geld der Diaspora zu kommen. Viele in der Diaspora jedoch, die die Verhältnisse in Afrika analysieren und die sehen, wie die Welt sich verändert, wollen nicht einfach Geldgeber sein; vor allem nicht in dieser alten Form der dezentralisierten und dezentralen Interventionen zugunsten der Familien oder der eigenen Schulen, der Stadtviertel.
Das ist viel zu fragmentiert als Intervention, um wirklich einen Unterschied zu machen. Damit die afrikanische Diaspora als Akteurin tatsächlich wahrgenommen wird, als politische Akteurin, und auch den Unterschied machen kann, braucht man einen höheren Organisierungsgrad als das bis jetzt der Fall ist. Und dazu haben wir noch nicht den Schlüssel gefunden.
Was kommt als erstes? Brauchen wir zunächst möglicherweise Geld von afrikanischen Regierungen, um die Strukturen zu schaffen, die wir benötigen, um strukturiert, gebündelt, finanziell und politisch intervenieren zu können in Afrika? Dagegen spricht, dass einige Regierungen in Afrika, nicht alle, unser Geld wollen, aber unsere politischen Positionen und Analysen nicht.
Oder andersherum: Brauchen wir sozusagen politische Plattformen, die wir zunächst selbst, aus eigener Kraft aufbauen, um dann diese Kanalisierung der Mittel hinzubekommen, die erforderlich sind, um tatsächlich den Unterschied machen zu können. Da sind wir nach meinem Empfinden sehr, sehr langsam in der Entscheidungsfindung. Das sind Debatten, die wir seit Jahren führen, aber eine integrierte Struktur der afrikanischen Diaspora in den einzelnen europäischen Ländern haben wir noch nicht.
Nicht einmal auf nationaler Ebene. Zum Beispiel finden wir nicht die Diaspora aus Benin, aus dem Senegal oder aus Nigeria.
Wir haben also einen Weg zu gehen, was dies angeht. Aber im Blick auf die Kolonisierung haben wir tatsächlich den Vorteil als afrikanische Diaspora, dass wir die Verhältnisse in Afrika in den einzelnen Ländern mit einer gewissen Distanz betrachten. Wir sehen, dass sich die Kräfteverhältnisse in der Welt verschieben.
China ist eine aufstrebende Macht. Ebenso Indien, Brasilien, die Türkei, Russland, einige arabische Ölstaaten. Wir haben die EU, die EU-Länder als traditionelle Partner und die USA.
Was braucht Afrika, um in dieser Welt, in der sich die Kräfteverhältnisse verschieben, einer Welt, in der mehrere kleine Zentren entstehen, sich selbst auch als Zentrum zu etablieren und nicht mehr als Peripherie wahrgenommen zu werden? Welche Konzepte brauchen wir? Die afrikanische Diaspora, die afrikanischen Diasporen haben einen Beitrag dazu zu leisten.
Wir brauchen Plattformen, um uns einzubringen. Manche afrikanischen Regierungen versuchen, diese Ideen einzuholen, zu integrieren. Der Senegal ist ein sehr gutes Beispiel.
Die Diaspora ist sehr gut vertreten in der neuen senegalesischen Regierung. Wie gesagt, manche anderen Regierungen wollen die Diaspora nur instrumentalisieren, um ihre Macht zu legitimieren. Aber wir brauchen einen Entry Point, um wirklich in diesem Entscheidungsfindungsprozess, vor dem Afrika als ganzer Kontinent, aber auch jedes einzelne Land steht, nützlich sein zu können.
Etheldreda D. Nanfa: Es ist gut zu wissen, dass die afrikanische Diaspora sich gegenseitig unterstützen kann. Vielen Dank für Ihre aufschlussreichen Ausführungen. Wir sind am Ende unseres Interviews mit Dr. Boniface Mabanza, aber bevor wir auseinander gehen, möchte die Organisation die Schwarze Exzellenz ehren. Es würde uns sehr freuen, von Ihnen ein bemerkenswertes Datum oder eine bemerkenswerte Persönlichkeit zu erfahren, die wir in Ihrem Namen in unseren OTD-Kalender aufnehmen können.
Sie können uns Ihre Ideen natürlich auch per E-Mail zukommen lassen, aber möglicherweise haben Sie ja schon darüber nachgedacht und sind bereit, Ihre Gedanken mit uns zu teilen?
Dr. Boniface Mabanza Bambu: Ja, ich denke an zwei Daten , einmal an den 16. Februar, weil an dem Tag 1992 in der Demokratischen Republik Kongo mehrere Menschen umgebracht wurden, die zusammenkamen, um für Demokratie einzutreten. Und angesichts der in den letzten Jahren in afrikanischen Ländern zu beobachtenden Schwierigkeiten, partizipative Demokratien zu etablieren, die tatsächlich diesen Namen verdienen, glaube ich, dass es gut wäre, so einen Tag in den Kalender zu integrieren, um aus afrikanischer Perspektive über Demokratie und ihre Bedeutung nachdenken zu können.
Und das verbunden auch mit dem 16. Juni, dem Tag der afrikanischen Jugend in Erinnerung an den Sowetoaufstand von 1976. als Subtext. Vielleicht war das auch schon Thema im Kalender vom letzten Jahr, aber jetzt als Subtext. Es gibt einen Bevölkerungswandel in Afrika, was sich in der politischen Landschaft noch nicht reflektieren lässt:
Afrika hat viele junge Menschen, eine sehr junge Bevölkerung, aber eine überalterte politische Klasse in fast allen Ländern. Länder wie der Senegal stellen jetzt die Ausnahme dar, aber wenn man nach Uganda schaut, , findet man sehr viele alte Leute. Menschen sind gestorben, Jugendliche in Südafrika zum Beispiel, damit sich die Dinge ändern. Und jetzt wollen die Älteren eine Ordnung etablieren und verteidigen, ohne die Impulse der Jungen aufzunehmen, indem sie sie ausschließen von Entscheidungsfindungsprozessen. All das rechtfertigt das Datum des 16. Juni im Kalender, denke ich.
Und schließlich denke ich am 12. August auch an Südafrika und an das Massaker von Marikana 2012. Ich glaube, dieses Datum erinnert daran, was alle afrikanischen Ressourcen an Wertschöpfungsketten ermöglichen und symbolisiert die wichtige Rolle Afrikas als Rohstofflieferant für die Welt.
Das wären für mich drei wichtige Daten, die ich gerne im Kalender hätte.
Etheldreda D. Nanfa: Haben Sie herzlichen Dank für Ihre leidenschaftlichen Beiträge. Möchten Sie vielleicht ein letztes Wort an die jungen Zuhörer richten? Welche letzte Botschaft haben Sie für sie?
Dr. Boniface Mabanza Bambu: Ich beginne vielleicht mit Französisch. Ich möchte folgendes sagen: Wenn Sie heute auf die Welt schauen, wie sie strukturiert ist , auf die Themen, über die diskutiert wird, die Konkurrenz der großen Mächte und die Art und Weise, wie diese Mächte in Afrika in erster Linie für ihre eigenen Bedürfnisse, aber auch für das menschliche Kapital sorgen, dann, denke ich, dass wir uns viele Fragen stellen müssen, gute Fragen. Bedenken Sie die Kämpfe um Positionierung, um Einfluss, um die Teilhabe an der Macht, die wir in vielen unserer Länder sehen , und vor allem in ressourcenreichen afrikanischen Ländern. Sehen Sie den Sudan, den Südsudan, die Demokratische Republik Kongo, da gibt es wirklich Anlass für Angst. Aber es gibt auch Momente der Hoffnung auf dem Kontinent. Wir haben eine Jugend, die sich der Themen bewusst ist, zumindest in einigen Ländern; eine Jugend, die aufsteht, die kämpft, und deshalb müssen wir kämpfen, um eine Zukunft zu bauen, eine Zukunft, einen Ort für all diese jungen Menschen, die wir auf dem Kontinent haben. Aber es wird nicht einfach sein, diesen Ort für uns selbst zu bauen. Es braucht Engagement, vor allem im Blick auf all die Themen, die ich gerade erwähnt habe und Anstrengung im Kampf, aber auch Hoffnung, und das Wissen darum, dass wir in unserer Geschichte schon schwierige Momente hatten.
Für unsere Vorfahren waren die Bedingungen im Kampf gegen die Sklaverei, gegen die Kolonialisten deutlich schlimmer als unsere heutige Situation. Aber sie konnten ihren Kampf führen und übermittelten uns das Vertrauen, das wir in diesen Ländern haben. Es ist an uns, diesen Kampf zu führen und ihn zur nächsten Etappe voran zu treiben! .
Meine Botschaft bezieht sich auf die Jahre der afrikanischen Renaissance: Die meisten unserer Länder haben in den 60er Jahren ihre Unabhängigkeit errungen, einige andere in den 70ern und die letzten, wie Namibia, in den 90ern.
Wir haben so viel getan, um herauszufinden, welches Konzept wir wirklich brauchen, um das Afrika zu werden, das wir wollen.
Und bis jetzt haben wir die entscheidenden Schritte zur Implementierung nicht gemacht. Ich denke, unsere Generation hat eine sehr besondere Aufgabe. Es ist die Aufgabe, unser Bestes zu tun, um sicherzustellen, dass in 10 Jahren, in 20 Jahren, in 25 Jahren diejenigen, die in der Verantwortung sind, nicht gezwungen werden, dort weiter zu machen, wo wir jetzt sind.
Wenn wir sicherstellen können, dass wir voran kommen, dann werden wir wirklich der Aussage Frantz Fanons nahe kommen: Jede Generation hat eine besondere Aufgabe. Und es gibt nur zwei Entscheidungen. Die eine ist, diese Aufgabe anzugehen..
Die andere ist, den richtigen Weg zu finden, um Einfluss zu nehmen. Das ist genau das, was wir tun müssen. Wenn ich die Dynamiken in einigen von unseren Ländern anschaue, bin ich sicher, dass wir es schaffen können. Fangen wir an zu handeln!
Etheldreda D. Nanfa: Wir fangen an! Ich denke, ich schließe mit diesen Worten. Lasst uns gemeinsam beginnen!
Noch einmal vielen Dank, Dr. Boniface Mabanza.