Politische Teilhabe und Sichtbarkeit: Ein Gespräch mit Hussein Abdi

Crédit photo:  ©-Hussein-Abdi

Medien und Gesellschaft mögen von rassistischen Strukturen geprägt sein, aber durch unseren Zusammenhalt und unsere Stärke können wir diese Narrative verändern und eine gerechtere Berichterstattung einfordern.

Hussein Abdi

[Nicole Amoussou]

Willkommen zu unserem Interview im Rahmen der Initiative Black Academy. Dieses Interview dient der Erstellung unseres OTD-Kalenders 2026, und heute  haben wir Hussein Abdi zu Gast. Du bist der stellvertretende Vorsitzende des Migrationsbeirats Mannheim. Du engagierst dich vor allem in den Bereichen Antidiskriminierung, Antirassismus, Jugend und Bildung, Flucht, Asyl, Sport und Integration. Du hast in vielen Organisationen und Initiativen in Mannheim mitgewirkt und bist Teil des Begleitgremiums von “Demokratie Leben.” Außerdem arbeitest du in Klärungsgremien des Mannheimer Bundes mit. Du trägst viele Hüte. Möchtest du mehr über deine Arbeit  in Mannheim erzählen? Über dich und was dich in Mannheim bewegt?

[Hussein Abdi]

Ja, gerne. Wie du gesagt hast, bin ich seit 2019 im Vorstand des Migrationsbeirats der Stadt Mannheim. Unsere Legislaturperiode endet Ende 2024. Ich habe mich für die neue Legislaturperiode des Migrationsbeirats erneut beworben und bin im Bewerbungsausschuss. Im dritten Quartal dieses Jahres wird die Entscheidung getroffen, ob ich weiterhin dabei bin. Aber wie gesagt, ich engagiere mich hier in der Stadt, weil wir Schwarzen Menschen in Mannheim sichtbarer sein sollten. Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft und sollten in allen Bereichen, in denen Entscheidungen getroffen werden, auch mitentscheiden. Ich freue mich sehr, dass ich mit der Black Academy einen starken Partner habe, wo es viel Expertise gibt und wir uns gerne austauschen. Im Klärungsgremium bin ich dieses Mal leider nicht mehr vertreten, da die Mitgliedschaft auf zwei Jahre begrenzt ist. Ich habe mich bewusst gegen eine Verlängerung entschieden und hoffe, dass jemand anderes diese Aufgabe übernimmt und gute Entscheidungen trifft.

[Nicole Amoussou]

Vielen Dank. Apropos Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen sowie unser Engagement in Mannheim und in Deutschland: Wir haben festgestellt, dass die EU-Wahlen allgemein einen deutlichen Anstieg rechtsextremistischer Tendenzen gezeigt haben. In den aktuellen Debatten treten Antisemitismus, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und die Anti-Immigranten-Rhetorik immer stärker hervor. Wie nimmst du diese Narrative und Entwicklungen in Mannheim wahr?

[Hussein Abdi]

Man muss ehrlich sagen, dass der Rechtsruck, den wir in ganz Europa in den letzten Jahren gespürt haben, auch in unserer Stadt spürbar und sichtbar ist. Das führt dazu, dass Äußerungen, die man früher nicht einfach so machen konnte, inzwischen öffentlich und ohne Konsequenzen ausgesprochen  werden. Das ist etwas,  was mich persönlich beunruhigt und auch etwas Angst macht.

Die vergangenen Europawahlen sowie die Kommunalwahlen haben deutlich gezeigt, dass dieser Rechtsruck in unserer Stadt tatsächlich vorhanden ist. Ich hoffe jedoch, dass wir es schaffen, die Demokratie und das Bewusstsein für demokratische Werte in unserer Stadt zu stärken, sodass die nächsten Wahlen vielleicht anders wahrgenommen und bewertet werden.

 [Nicole Amoussou]

Glaubst du, dass dieser Anstieg rechtsextremer Tendenzen eine entscheidende Rolle in den neuen politischen Gremien  auf EU- und kommunaler Ebene spielen wird? Wie schätzt du die Arbeit für Demokratie und Vielfalt im Hinblick auf  diese Entwicklung ein? Wird sie dadurch gebremst oder gar stark eingeschränkt?

[Hussein Abdi]

Letztlich werden alle Entscheidungen demokratisch getroffen. Wenn wir jedoch einen Rechtsruck in unseren parlamentarischen Entscheidungen spüren, wird das zur Folge haben, dass bestimmte Entscheidungen nicht mehr auf Grundlage von Vielfalt und Willkommenskultur getroffen werden, sondern eher von rechtsgerichteten Positionen geprägt sind. Diese werden somit ebenfalls an der Entscheidungsfindung beteiligt sein.

Die Herausforderung wird darin bestehen, einen Kompromiss zwischen allen beteiligten Parteien zu finden. Das wird sowohl in unserer Stadt als auch in der Gesellschaft, in der wir leben, deutlich spürbar sein.

 [Nicole Amoussou]
Wir haben bemerkt, dass nach dem Messerangriff in Mannheim am 31. Mai 2024 die mediale Aufmerksamkeit stark zugenommen hat. Im Gegensatz dazu haben wir als Black Academy beobachtet, dass ein ähnlicher Vorfall im letzten Jahr, bei dem ein Zivilist durch die Polizei getötet wurde, deutlich weniger mediale Beachtung fand. Eine dieser Geschichten wurde deutschlandweit und sogar international viel stärker wahrgenommen als die andere.
Wie erklärst du dir diese Diskrepanz in der Medienaufmerksamkeit? Warum wird das eine Leben  medial anders behandelt als das andere, insbesondere wenn es um Vorfälle mit der Polizei geht?

[Hussein Abdi]
Nun, der Unterschied liegt darin, dass der Getötete beim Messerangriff ein Polizist war, der im Dienst des Staates stand. Das ist ein wichtiger Punkt, den man berücksichtigen muss. Die breite gesellschaftliche Wahrnehmung sieht jemanden, der im Dienst für den Staat ermordet wurde, und das führt zu einer anderen medialen Darstellung. In gewisser Weise ist das nachvollziehbar.
Trotzdem darf der Tod eines Zivilisten durch Polizeigewalt nicht verharmlost oder heruntergespielt werden. Es gibt viele Initiativen und AkteurInnen, die solche Fälle sichtbar machen und gegen Ungerechtigkeiten  kämpfen.
Letztendlich müssen wir jedoch akzeptieren, dass diese beiden tragischen Vorfälle unterschiedlich wahrgenommen und behandelt werden – und das wirft Fragen danach auf, wie gerecht unsere mediale Berichterstattung wirklich ist.

 **[Nicole Amoussou]**

Hat der Vorfall noch mehr mediale Aufmerksamkeit erhalten, weil der junge Polizist ums Leben kam und die Tat von einer Person mit Migrationsbiografie ausgeübt wurde? Welche Auswirkungen könnte dies auf das Leben in Mannheim sowie auf das Zusammenleben und die Diversität in der Stadt haben, sowohl jetzt als auch in Zukunft?

 [Hussein Abdi]

Mannheim ist seit Jahrhunderten für sein vielfältiges und friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Communities bekannt. Wir leben hier schon seit über 400 Jahren mit Menschen verschiedenster Herkunft zusammen, und die Mannheimer halten auch in schwierigen Zeiten zusammen, unabhängig davon, wie etwas   von außen politisch dargestellt wird.

Inwiefern dieser Vorfall unser Leben als Menschen mit Migrationshintergrund in Mannheim jetzt oder in Zukunft erschwert, wird sich zeigen, aber wir werden auf jeden Fall kollektiv davon betroffen sein. Solche Vorfälle brennen sich ins Gedächtnis der Stadt ein und können zu einer kollektiven Benachteiligung führen. Aber unsere Aufgabe ist es, dem entgegenzuwirken und das Gegenteil zu beweisen. 

Diese Aktion wird auf jeden Fall eine kollektive Benachteiligung hervorrufen. Aber wir dürfen das nicht zulassen  und müssen das Gegenteil  beweisen.

 [Nicole Amoussou]

Wie wirkt sich der aktuelle Zustand, in dem die Polizei nach dem tragischen Tod des jungen Polizisten selbst in Trauer ist, auf die öffentliche Wahrnehmung aus? In der Black Academy haben wir am 29. April 2023 selbst Erfahrungen mit Polizeigewalt durch das Spezialeinsatzkommando gemacht, was uns gezeigt hat, wie stark diese Dynamik ist. Obwohl wir insgesamt große öffentliche Solidarität erfahren haben, erhielten  wir auch Nachrichten von Betroffenen,  die zeigen, dass oft eine Art Schweigen oder Angst herrscht, die Polizei zu kritisieren. Gerade nach diesem jüngsten Vorfall hat man das Gefühl, dass es noch schwieriger geworden ist, Kritik zu äußern, insbesondere im Kampf gegen Polizeigewalt. Wie nimmst du  das wahr? Spürst du  auch, dass sich viele Menschen in Mannheim nicht mehr trauen, offen über Polizeigewalt zu sprechen?

 [Hussein Abdi]

Das mag am Anfang der Fall sein, besonders solange diese Ereignisse noch frisch sind. Man hat vielleicht das Gefühl, dass die Polizei nun als Opfer dargestellt wird,  die ihre eigenen Herausforderungen zu bewältigen hätte. Da fragt man sich: Kann ich sie überhaupt noch anklagen oder mich über Diskriminierung beschweren? Aber das sind zwei verschiedene Dinge, die man klar trennen muss.

Hier ist eine Person im Dienst des Staates leider ums Leben gekommen, aber das bedeutet nicht, dass alle anderen Polizisten nun freie Hand haben, sich nicht an die Gesetze zu halten. Ich würde das strikt trennen.

Natürlich kann man dieses Gefühl menschlich nachvollziehen, aber ich würde dennoch empfehlen, dass jede Handlung mit rassistischem Hintergrund – auch innerhalb der Polizei – gemeldet und angezeigt wird. Denn die Polizei ist nicht frei von Rassismus , auch wenn sie das seit Jahren behauptet.

[Nicole Amoussou]

Wir haben vorhin über die mediale Aufmerksamkeit gesprochen, die bei bestimmten Ereignissen stärker ausfällt als bei anderen – besonders im Hinblick auf Schwarze Menschen, die durch Polizeigewalt verletzt wurden oder ums Leben kamen. Was können wir tun, um eine ausgewogenere Berichterstattung zu erreichen oder sogar einzufordern, sodass die Komplexität solcher Vorfälle besser von den Medien reflektiert wird? Was können wir speziell von den Medien in Mannheim erwarten?

[Hussein Abdi]

Wir leben in einer Gesellschaft, die von Rassismus geprägt und sozialisiert ist. Dieser rassistische Einfluss durchdringt alle Lebensbereiche, und oft hinterfragen wir bestimmte Handlungen nicht mehr. Auch die Medien und die einzelnen Journalisten, die dort arbeiten, sind Teil dieser Gesellschaft und somit nicht frei von rassistischen Strukturen.

Natürlich wünscht man sich eine neutrale Berichterstattung, aber die Personen, die diese Berichte verfassen, sind selbst nicht rassismusfrei. Sie sind ebenso Teil dieser Gesellschaft. Selbst wenn wir sagen würden, dass wir gerne mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Medienberichterstattung hätten, ist das allein keine Garantie dafür, dass diese Berichterstattung frei von rassistischen Einflüssen wäre. Menschen, die hier aufgewachsen sind, wurden in dieser Gesellschaft sozialisiert und tragen diese Prägungen in sich.

Das Grundproblem liegt also darin, dass die Medien selbst eine rassismuskritische Reflexion durchlaufen müssten. Sie müssten sich fragen, wen sie repräsentieren und wie sie es schaffen können, alle Teile der Gesellschaft rassismusfrei anzusprechen.

 [Nicole Amoussou]

Dieses Jahr war weltweit ein entscheidendes Jahr für politische Bewegungen. Es gab Putsche in vielen afrikanischen Ländern, EU-Wahlen, Kommunalwahlen sowie die Erneuerung des Migrationsbeirats in Mannheim. All diese globalen und lokalen Entwicklungen beeinflussen uns. Wie bewertest du die Beteiligung von Migranten, insbesondere von Schwarzen Menschen und besonders jungen Schwarzen Menschen, an politischen Debatten? Was können wir tun, um durch diese globalen und lokalen Bewegungen mehr junge Schwarze Menschen für diese Themen zu gewinnen?

[Hussein Abdi]

Ja, es ist tatsächlich so, dass viele Menschen afrikanischer Herkunft, insbesondere in der ersten Generation, es nicht leicht hatten. Viele müssen ihre Familien in der Heimat finanziell unterstützen und haben oft mehrere Jobs. Gleichzeitig müssen sie in einer Gesellschaft zurechtkommen, in der Diskriminierung und Benachteiligung vorhanden sind und in der sie sich mit anderen Kulturen auseinandersetzen müssen.

Das führt dazu, dass die Kinder oder Jugendlichen oft nicht die nötige Unterstützung von ihren Eltern bekommen, wenn es um politische Bildung oder soziale Kompetenzen wie Entscheidungsfindung geht. Das Interesse an Politik ist unter Schwarzen Menschen daher oft geringer. Doch ich würde insbesondere der jüngeren Generation empfehlen, sich auf  allen Ebenen zu beteiligen, auf  denen Entscheidungen getroffen werden, die auch uns betreffen. Es ist wichtig, dass wir diese Entscheidungen mitgestalten.

Je früher man sich mit politischen Themen auseinandersetzt, desto einfacher wird es später, dieses komplexe System zu verstehen. Ich würde jedem jungen Schwarzen Menschen sagen: Du bist ein Teil dieser Gesellschaft. Wir stehen nicht am Rand der Gesellschaft sondern sind in ihrer Mitte. Wir haben das Recht, ein Teil davon zu sein und unsere Stimme zu erheben.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in der Politik engagieren. Kein Meister ist vom Himmel gefallen, alles ist erlernbar, und jeder kocht nur mit Wasser. Ich würde es sehr begrüßen, wenn mehr junge Schwarze Menschen sich politisch engagieren. Kommunalpolitik ist der erste Schritt und sie betrifft uns alle direkt. Das kann ich nur empfehlen.

[Nicole Amoussou]

Vielen Dank. Wir bleiben bei den Empfehlungen, und dies wird auch meine letzte Frage sein. Wir möchten, dass sich junge Menschen stärker politisch engagieren. Was könnte auf kommunaler oder politischer Ebene in Mannheim getan werden, um diesen Weg zu erleichtern und den Zugang für junge Menschen zu verbessern?

[Hussein Abdi]

Nun, wenn man unter 27 Jahre alt ist, gibt es die Möglichkeit, sich im Jugendbeirat zu engagieren. Dort  bietet sich die Gelegenheit, erste kommunalpolitische Erfahrungen zu sammeln, da viele Themen diskutiert werden, die die Jugend betreffen. Zudem kann man sich den politischen Parteien anschließen, die der eigenen Ausrichtung entsprechen, denn die Politik hat viele verschiedene Richtungen.

Je nachdem, welche politische Richtung man einschlagen möchte, gibt es in jeder Partei Möglichkeiten, sich zu engagieren. Parteien befassen sich auch mit zahlreichen Themen, die Menschen mit Migrationshintergrund betreffen. Sie benötigen Menschen mit entsprechenden Erfahrungen und Fachwissen, um diese Themen abzudecken oder als Berater für bestimmte Bereiche zu fungieren. Es gibt also vielfältige Wege, wie man sich einbringen kann.

[Nicole Amoussou]

 Vielen Dank für deine Zeit, vielen Dank, dass du uns  deine Perspektive und Meinung mitgeteilt hast.